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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.06.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 104/04
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 58
AsylVfG § 85
Die Feststellungen einer Verurteilung wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach § 56 AsylVfG muss zu entnehmen sein, dass der Tatrichter das Vorliegen eines dauernden Abschiebehindernisses im Sinne von § 58 Abs. 4 AsylVfG in der Person des Angeklagten in hinreichender Weise geprüft und verneint hat.
Beschluss

Strafsache

gegen E.J.

wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 04. November 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 06. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 26. März 2003 wegen Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach § 56 AsylVfG in achtzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten mit Bewährung verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen durch das angefochtene Urteil der IV. kleinen Strafkammer vom 04. November 2003 unter Verwerfung der weitergehenden Berufung das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die erkannte Freiheitsstrafe auf sechs Monate - mit Strafaussetzung zur Bewährung - ermäßigt worden ist.

Nach den getroffenen Feststellungen ist der aus dem Kosovo stammende, zur Volksgruppe der Roma gehörende verheiratete Angeklagte, dessen Ehefrau und drei Kinder sich ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland befinden, abgelehnter Asylbewerber, dessen Klageverfahren noch vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen läuft. Der Angeklagte hat eine Aufenthaltsgestattung, die bisher jeweils halbjährlich verlängert worden ist und die auf den Regierungsbezirk Münster räumlich beschränkt ist.

Seine am 14. April 2001 geborene Tochter E. leidet an einem Blackfan-Diamond-Syndrom, einer kongenitalen hypoplastischen Anämie, deren Heilung in einer Knochenmarkstransplantation besteht. Nach dem in den Urteilsfeststellungen in Bezug genommenen Arztbericht des Universitätsklinikums Essen vom 08. August 2003 handelt es sich um eine angeborene Störung der Erythropoese, die eine schwere Anämie zur Folge hat. E. stellt sich daher in drei-wöchentlichen Abständen zur Bluttransfusion vor. Es besteht die Gefahr der irreversiblen Schädigung verschiedener innerer Organe. Ferner leidet die Tochter E. an einer Dystrophie unklarer Ursache.

Im Hinblick auf die erkrankte Tochter E. hat das Referat 30 für Rechts- und Ausländerangelegenheiten - Ausländerabteilung - der Stadt Gelsenkirchen ein Abschiebungshindernis für zunächst drei Monate festgestellt mit der Option der Verlängerung, je nach dem Ergebnis der Prüfung, ob die Tochter E. im Kosovo genauso ärztlich betreut und behandelt werden kann im Hinblick auf ihre Erkrankung wie hier in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Strafkammer hat es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte vorsätzlich gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgenehmigung auf den Bereich des Regierungsbezirkes Münster verstoßen habe, indem er in achtzehn Fällen in der Zeit vom 02. August 2002 bis 14. September 2002 jeweils nach Geilenkirchen fuhr, um eine dortige Fahrschule zu besuchen. Hierzu hat die Berufungskammer u. a. ausgeführt:

"Durch sein Verhalten durch das Verlassen des räumlichen Bereichs des Regierungsbezirkes Münster ohne Genehmigung hat der Angeklagte wiederholt gegen die in § 56 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG normierte räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung verstoßen.

Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich.

Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugin K.H. sind dem Angeklagten mit Hilfe des von ihm mitgebrachten Dolmetschers bzw. Übersetzers seine Pflichten im Rahmen der räumlichen Beschränkung seines Aufenthaltes erläutert worden.

Dies hat der Angeklagte nach der vollen Überzeugung der Kammer auch verstanden.

So hat er nach der weiteren glaubhaften Aussage der Zeugin H. am 10.02.2000, somit nach der zuvor erfolgten Belehrung, in der für ihn zuständigen Ausländerabteilung der Stadt Gelsenkirchen vorgesprochen und erfolgreich um eine Genehmigung für einen Besuch in P. ersucht.

Nach der Auffassung der Kammer sind vorliegend die Voraussetzungen des § 58 Absatz 4 2. Halbsatz 3. Alternative AsylVfG nicht gegeben.

Die Abschiebung des Angeklagten ist aus "tatsächlichen Gründen auf Dauer" nicht ausgeschlossen.

Die Kammer hat keine genügenden, zwingenden Gründe dafür, dass das Bundesamt keinen aufnahmebereiten Drittstaat nach Maßgabe der konkreten Anforderungen der Vorschrift des § 50 Absatz II AufenthG bezeichnen kann, so dass die Abschiebung aus rechtlichen Gründen auf Dauer nicht ausgeschlossen ist.

Der Umstand, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg mit Schriftsatz vom 08.10.2003 dem Verteidiger des Angeklagten u. a. bescheinigt hat, dass "Abschiebungshindernisse nach § 53 Absatz 6 AusLG liegen hinsichtlich des Herkunftsstaates vor", ändert nach der Auffassung der Kammer an der Strafbarkeit des Angeklagten nichts.

Das Bundesamt spricht in dieser Bescheinigung nur von dem "Herkunftsstaat".

Insoweit wird auf die überreichte Bescheinigung in Ablichtung - Bl. 103 d. A. - Bezug genommen.

Aus dem Erlass des niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 09.04.2003, nach dem die dort bezeichnete Vereinbarung den Beginn der zwangsweisen Rückführung von Minderheiten in das Kosovo ab dem 1. April 2003 ermöglicht, andererseits "Roma und Serben" in diesem Jahr noch von der zwangsweisen Rückführung ausgenommen sind, kann nach der Auffassung der Kammer nicht das Merkmal "auf Dauer" hergeleitet werden. Insoweit wird auf den von dem Verteidiger überreichten Erlass vom 09.04.2003 in Ablichtung - Bl. 108 ff. d. A. - Bezug genommen.

Die Kammer wertet den Begriff "auf Dauer" als ein unbegrenztes Fortbestehen eines bestimmten Zustandes.

In diesem Sinne kann nach Auffassung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass die durch den Erlass vom 09.04.2003 noch in diesem Jahre ausgenommene zwangsweise Rückführung der "Roma und Serben" ein unbegrenzter Zustand ist, d. h., dass von einer zwangsweisen Rückführung der hier "Roma" gar nicht mehr ausgegangen werden kann.

Nach alledem hat sich nach der Auffassung der Kammer der Angeklagte gemäß § 85 Ziffer 2 AsylVfG strafbar gemacht."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese form- und fristgerecht begründet. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt er mit näheren Ausführungen in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und seinen Freispruch, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Essen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt auf die erhobene Sachrüge zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung mit den Feststellungen und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.

Die Feststellungen der Strafkammer tragen die Verurteilung wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach § 56 AsylVfG in achtzehn Fällen gem. § 85 Ziff. 2 AsylVfG nicht, denn die Feststellungen lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer das Vorliegen eines dauernden Abschiebehindernisses im Sinne von § 58 Abs. 4 AsylVfG in der Person des Angeklagten in hinreichender Weise geprüft und verneint hat.

Die Voraussetzungen der Erlaubnisnorm des § 58 Abs. 4 Satz 1, 3. Alt. AsylVfG sind durch den Strafrichter im Verfahren wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 AsylVfG eigenständig zu prüfen (vgl. OLG Stuttgart, StV 2002, 313; OLG Celle, StV 1995, 474). Die Ausführungen des angefochtenen Urteils hierzu sind unzureichend, denn sie lassen nicht erkennen, dass sich die Berufungskammer mit der naheliegenden Frage befasst hat, ob dem Angeklagten im Hinblick auf das bei seiner Tochter E. vorliegende Abschiebehindernis wegen deren Erkrankung ein eigenes dauerhaftes Abschiebehindernis zugute kommt und die Kammer diese Frage verneint hat. Aufgrund der Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Erkrankung der Tochter E., die nach den Feststellungen zur Anerkennung eines Abschiebehindernisses durch das Ausländeramt für zunächst drei Monate mit der Option der Verlängerung je nach dem Ergebnis der Prüfung der Behandelbarkeit der Erkrankung im Kosovo geführt hat, hätte es eingehender Prüfung bedurft, ob aufgrund dieser Umstände auf Seiten des Angeklagten vom Vorliegen eines dauerhaften Abschiebehindernisses auszugehen ist. Denn bei Vorliegen der Voraussetzungen der tatbestandsausschließenden Erlaubnisnorm des § 58 Abs. 4 Satz 1 3. Alt. AsylVfG kommt eine Strafbarkeit wegen des vorgeworfenen Verstoßes nicht in Betracht. Den Ausführungen des angefochtenen Urteils ist jedoch weder zu entnehmen, in welchem zeitlichen Rahmen die Erkrankung bis zur Heilung zu behandeln ist noch wie sich konkret bei dem Kind der Behandlungsfortschritt zeitlich darstellt und welcher Zeitraum voraussichtlich bis zur Heilung noch erforderlich sein wird.

Zwar mag bei einem Abschiebehindernis für den Zeitraum von nur drei Monaten noch nicht zwingend von einem Abschiebehindernis auf Dauer im Sinne des § 58 Abs. 4 AsylVfG auszugehen sein; die festgestellten Umstände der gravierenden Erkrankung lassen indes eine erheblich längere Behandlungszeit erwarten. Auch die ausdrücklich genannte "Option der Verlängerung" legt den Schluss nahe, dass ein Abschiebehindernis von erheblich längerer Zeit begründet ist, welches die Kammer nicht berücksichtigt hat. Da der Rechtsbegriff "auf Dauer" nicht im Sinne von "für immer" zu verstehen ist (vgl. OLG Celle, a. a. O.), sondern einen Zustand beschreibt, dessen Ende sich im Voraus nicht bestimmen lässt (vgl. OLG Celle, a. a. O.; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., Rdnr. 9 a. E. zu § 226), ist das Vorliegen der Voraussetzungen der Erlaubnisnorm naheliegend.

Das Vorliegen eines Abschiebehindernisses auf Seiten eines minderjährigen Kindes begründet zwar nicht schon nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG, der dies nur für den Ehegatten und die minderjährigen ledigen Kinder des Ausländers ausdrücklich bestimmt, einen Erlaubnistatbestand auch in der Person eines Elternteiles. Diese Norm ist indes nach ihrem Sinnzusammenhang und im Lichte des Art. 6 GG dahin auszulegen, dass sie insgesamt für enge Familienangehörige gilt (vgl. Renner, Kommentar zum Ausländerrecht, 7. Aufl., Rdnr. 7 zu § 58 AsylVfG), und jedenfalls für Eltern eines minderjährigen Kleinkindes, in dessen Person ein Abschiebehindernis vorliegt, Geltung entfaltet.

Soweit die Kammer ausgeführt hat, dass die Abschiebung aus rechtlichen Gründen auf Dauer nicht ausgeschlossen sei, weil keine genügenden zwingende Gründe dafür vorlägen, dass das Bundesamt keinen aufnahmebereiten Drittstaat nach Maßgabe der konkreten Anforderungen der Vorschrift des § 50 Abs. 2 AufenthG bezeichnen könne, ist diese Begründung unzureichend und insoweit unzutreffend als die in Bezug genommene Vorschrift des § 50 Abs. 2 AufenthG keine Geltung erlangt hat. Zur Feststellung der Abschiebbarkeit gem. § 50 Abs. 4 Satz 1 3. Alt. AsylVfG ist es keineswegs ausreichend festzustellen, dass keine genügenden zwingenden Gründe dafür vorliegen, dass kein aufnahmebereiter Drittstaat benannt werden kann; zu fordern ist vielmehr, dass positiv festgestellt wird, ob und ggf. welcher konkret zu nennende Drittstaat aufnahmebereit ist. Anderenfalls sind die Feststellungen nicht hinreichend konkret, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, dass das Tatsachengericht die Voraussetzungen der tatbestandsausschließenden Erlaubnisnorm gesehen und zu Recht oder zu Unrecht verneint hat. Hier bedurfte es weitergehend noch der Feststellung, dass in dem potentiellen aufnahmebereiten Drittstaat die Behandlung und Heilung der Erkrankung der Tochter E. ebenso gewährleistet ist wie in der Bundesrepublik Deutschland, weil ansonsten dem bestehenden Abschiebehindernis nicht Rechnung getragen würde. Ausführungen zu diesen Erfordernissen fehlen in dem angefochtenen Urteil völlig. Aufgrund dieser Begründungsmängel ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Schuldspruchs nicht möglich, so dass das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegt.

Auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils, weist einen auf die erhobene Sachrüge hin zu beachtenden durchgreifenden Begründungsmangel auf. Das Landgericht hält die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung für unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB). Soweit die Berufungskammer zur Begründung darauf abhebt, dass die Verhängung eines Bußgeldes auf den Angeklagten ohne erkennbare Einwirkung geblieben und er vorliegend im erheblichen Umfang in Erscheinung getreten sei, lassen diese Urteilsgründe besorgen, dass die Kammer ihre Entscheidung einen rechtlich fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt hat.

Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen (vgl. BGHSt 20, 40, 42 f., BGH-Strafverteidiger 1994, 370; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., Rdnr. 1 zu § 47). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. hierzu Tröndle/Fischer, a. a. O., Rdnr. 7 zu § 47 m. w. N.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, denn es lässt die erforderliche Darlegung der engen Voraussetzungen der Erforderlichkeit der Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung und die gebotene Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände nahezu gänzlich vermissen.

Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Verhängung einer Freiheitsstrafe, wenn ernstlich zu befürchten ist, dass die Allgemeinheit ihr Vertrauen in die Wirksamkeit der Strafrechtspflege ohne die Verhängung einer Freiheitsstrafe verliert und dadurch das allgemeine Rechtsbewusstsein nachhaltig beeinträchtigt wird. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die den Verstoß von Durchschnittsfällen negativ abheben oder als so schwerwiegend erscheinen lassen, dass das Absehen von Freiheitsstrafe die Rechtstreue der Bevölkerung und ihr Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts ernstlich erschüttern würde (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 25. Aufl., Rdnr. 14 zu § 47 m. w. N.). Für die Entscheidung darüber, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung von Freiheitsstrafen gebietet, kann die Schuld des Täters wesentlich ins Gewicht fallen. Je größer die Schuld, desto eher wird das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert, wenn keine Freiheitsstrafe verhängt wird (Schönke/Schröder-Stree, a. a. O., Rdnr. 15).

Die gegen den Angeklagten früher verhängte Geldbuße, auf die das Berufungsgericht abstellt, ist jedoch nicht geeignet, einen besonderen Umstand oder einen besonders erheblichen Schuldvorwurf im Sinne der vorgenannten Erfordernisse zu begründen. Von ihr geht bereits keine einer in einem Strafverfahren verhängten Strafe vergleichbare Warnfunktion aus, über die sich der Angeklagte hinweg gesetzt hätte. Soweit das Berufungsgericht den erheblichen Umfang der Straftaten anführt, kann dies ebenfalls nicht zur Begründung der Unverzichtbarkeit einer kurzfristigen Freiheitsstrafe ausreichend sein, zumal es sich um immer gleich gelagerte Verstöße in enger zeitlicher Abfolge handelt. Insoweit hätte das Berufungsgericht auch erwägen müssen, dass seit der letzten Tat bereits erhebliche Zeit, nämlich ca. vierzehn Monate verstrichen sind und - nachdem der Angeklagte seinen Führerschein erworben hat - der Zweck der Taten von ihm erreicht wurde und keine Wiederholungsgefahr besteht.

Ein Rechtsfehler liegt ferner darin, dass sich das Landgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB nicht mit der Person des Angeklagten auseinandergesetzt hat. Darauf konnte auch nicht ausnahmsweise verzichtet werden, zumal das Landgericht bei der Erörterung des § 56 Abs. 1 StGB dem nicht vorbestraften Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt und dabei auch berücksichtigt hat, dass er in seiner Familie sozial integriert lebt und das vorliegende Strafverfahren ihn nicht unbeeindruckt gelassen hat. Angesichts dieser zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände fehlt es an einer tragfähigen Begründung dafür, dass die Verhängung einer Geldstrafe gegen ihn als angemessene Rechtsfolge der abgeurteilten Verstöße nicht mehr ausreicht und deshalb die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerlässlich ist.

Für die gegebenenfalls neu zu verhängende Gesamtstrafe weist der Senat darauf hin, dass die undifferenzierte Verhängung der gleichen Strafhöhe für jeden Einzelfall auf Bedenken stößt. Da nach den Feststellungen die einzelnen Taten jeweils dem gleichen Zweck entsprangen und jeweils in gleicher Weise begangen wurden, kommt die Berücksichtigung einer im Laufe der Zeit bei dem Angeklagten eingetretenen Verminderung der Hemmschwelle in Betracht, wodurch die Verhängung unterschiedlicher Strafhöhen bei den verschiedenen Stadien innerhalb der Gesamtabfolge indiziert wäre.

Wegen der aufgezeigten Mängel war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen, die neue und ergänzende Feststellungen zu treffen haben wird, zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO. Da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht, wird das Landgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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